Zählt die erste Verfilmung des Romans "Taking of Pelham One Two Three" von John Godey aus dem Jahre 1974 heute bereits zu den Klassikern, so war es im Jahre 2009 an der Zeit nicht nur ein einfaches Remake zu starten, sondern einen neuen Zugang für eine weitere Adaption zu schaffen, eine komplette Neuverfilmung zu kreieren. Thriller-Spezialist Tony Scott nahm sich damals dieser Aufgabe an und ließ Denzel Washington gegen John Travolta antreten. Ob der Film gelungen ist, erfahrt Ihr in unserer Retro - Kritik von DIE ENTFÜHRUNG DER U-BAHN PELHAM 1 2 3. Inhalt: Im Untergrund von New York herrscht blanke Angst, als der hitzköpfige und skrupellose Gangster Ryder (John Travolta) mit Komplizen die U-Bahn Pelham 123 entführt und von der Stadt Lösegeld erpresst. Dutzende von Fahrgästen sind nun in dem weitverzweigten unterirdischen Tunnelsystem in Ryders Gewalt. Seine Forderung: zehn Millionen Dollar und zwar in einer Stunde, sonst wird er eine Geisel nach der anderen erschießen.
Während Ryder im Untergrund gnadenlos sein Ziel verfolgt, sucht der Fahrdienstleiter der New Yorker Subway, Walter Garber (Denzel Washington) verzweifelt an der Oberfläche nach einer Möglichkeit, den Gangster zu stoppen. Das Problem: Garber ist Beamter der New Yorker Verkehrsbetriebe - er ist kein Cop und er ist für Verhandlungen mit Gangstern und Terroristen in keiner Weise ausgebildet. Ryder besteht darauf nur mit Garber zu sprechen. Zwischen den beiden Männern entsteht eine dramatische Verhandlung. Etliche Menschenleben stehen auf dem Spiel. Die Zeit läuft. Kann Garber die Geiseln retten und wie will Ryder aus dem abgeschotteten Tunnelsystem fliehen...
Bilder: © SONY Pictures Entertainment 2021
Kritik: Zählt die erste Verfilmung des Romans "Taking of Pelham" von John Godey aus dem Jahre 1974 heute bereits zu den Klassikern, so war es nun an der Zeit nicht nur ein einfaches Remake zu starten, sondern einen neuen Zugang für eine weitere Adaption zu schaffen, eine komplette Neuverfilmung zu kreieren. Dieses sollte nicht nur oberste Priorität des Filmteams um Erfolgs-Regisseur Tony Scott gewesen sein, der mit seinem Hauptdarsteller Denzel Washington bereits bei den Filmen CRIMSON TIDE - IN TIEFSTER GEFAHR, MAN ON FIRE und DÉJÀ VU - WETTLAUF GEGEN DIE ZEIT zusammen arbeitete, sondern es betonte auch stets das Unterfangen eine komplette Neuadaption kreieren zu wollen. Dennoch sollte sich Scotts Versions nicht gänzlich von dem Original abkapseln lassen und jeder, der das Original im Hinterkopf hat, wird stets Vergleiche ziehen. Für das Drehbuch zeichnet Brian Helgeland verantwortlich, der für sein Script zu L.A. CONFIDENTIAL mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Die Welt und insbesondere New York hat sich seit 1974 allerdings gravierend geändert, so mussten die Filmemacher auf das Ausgangsmaterial des Buches zurückgreifen und den Film in das heutige New York transportieren und die Geschichte als zeitgenössischen Thriller anlegen.
Das zentrale Puzzle der Geschichte lässt den Zuschauer wie damals den Leser lange im Dunkeln: wer würde einen U-Bahn-Zug entführen und die Stadt um Lösegeld erpressen? Das Ganze Setting macht die Sache noch dramatischer. Das U-Bahnnetz und das Tunnelsystem von New York sind abgeschottete Welten. Selbst wenn die Erpresser ihr Geld erhielten, gibt es keinen richtigen Fluchtweg und als Zuschauer fiebert man dem Showdown entgegen.
Der Thriller ist auf das Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller ausgelegt. Denzel Washington spielt den überforderten Fahrdienstleiter Walter Garber und fungiert als höchst ungewöhnliche Figur im Zentrum dieses Action-Thrillers. Er ist kein Cop, nicht der gewöhnliche Superheld wie man ihn aus anderen Filmen kennt. Er ist ein ziviler Beamter und muss als Verhandlungsführer für die Geiselnahme einspringen. Ängste plagen ihn in seinem eh schon durchrüttelten Leben. Er wird beschuldigt bestechlich zu sein und wurde zum gewöhnlichen Fahrdienstleiter degradiert, was ihm jetzt zusätzliche Schwierigkeiten beschert. Geiselunterhändler Lieutenant Camonetti vom FBI lässt auch ihn durchleuchten, um sicher gehen zu können, dass er auch nicht im Entferntesten etwas mit der Entführung zu tun hat. Garber sucht verbittert Erlösung und glaubt, dass er seinen guten Ruf wieder herstellen kann, wenn er die Passagiere im Zug rettet.
Denzel Washington ist bekannt für seine FBI- und CIA-Agentenrollen, doch gelingt es ihm diese gewöhnliche Figur mit dem gewöhnlichen Schreibtischjob interessant dazustellen? Eher nicht. Auf eine ehrliche Art und Weise soll er den perfekten Kontrapunkt zu seinem wütenden Gegenspieler Ryder bilden und stets selber interessant bleiben. Doch der Handlungsstrang im Hintergrund über seine Bestechlichkeit wirkt eher konstruiert als gelungen. Auch Walter Matthau im Original war kein Saubermann, aber seine raue Art nahm man ihm eher ab als den gestrickten Hintergrund von Denzels Darstellung von Garber.
Das Entscheidende in Washingtons Figur ist, dass er im Notfall die Ruhe bewahren muss. Doch nicht nur Lieutenant Camonetti, die Aufklärer des Bestechungsfalls und die Zugentführer sitzen Garber im Nacken, sondern auch sein Boss, der Leiter des NYC Transit Rail Control Center, der wie ein Schatten über Garbers Schreibtisch schwebt. Er lässt keinen Zweifel daran, dass Garber der Bestechung schuldig ist, er beleidigt und belästigt ihn öffentlich. Nur der Grünschnabel Delgado ist der einzige Angestellte des NYC Transit, der Garber glaubt.
Der Gegenspieler von Garber wird von John Travolta gemimt. Ryder ist ein launenhafter, von Rache getriebener Killer. Er ist entsetzlich intelligent und ein unberechenbarer Hitzkopf. In dem einen Moment zeigt er Gnade und im nächsten explodiert er in todbringender Wut.
(Achtung Spoiler!) In seinem vorigen Leben war er an der Wall Street erfolgreich und kam wegen Veruntreuung ins Gefängnis. Nun spielte er mit den Gedanken mit der Stadt New York abzurechnen und ein Lösegeld für die Geiseln zu fordern. Er grollt gegen die Stadt als lebende atmende byzantinische Einheit, die Leben zerstören kann. Im Knast muss er durch Erfahrungen eine Verwandlung gemacht haben und außerordentlich geprägt worden sein. Er agiert sehr heftig, aufgebauscht und hat nun kurz geschorene Haare, einen dünnen Schnauzbart und einen tätowierten Hals. Ryder ist ein Überredungskünstler und Verkäufertyp. Als Bösewicht hätte er seine eigene moralische Palette in verschiedenen Abstufungen schaffen und seine ganze Bandbreite seines Gebarens zeigen können. Den Bösewicht mimt er gekonnt wie immer, doch von der Fallhöhe seines Charakters, der vom Börsianer zum Gangster abstieg, merkt man in keiner Sequenz etwas. (Spoiler Ende!)
Somit ist der Hintergrund von Ryder nicht nur schwammig, sondern auch der zweite Versuch die Beweggründe der Gangster zu schildern, was man schon beim Original anprangerte, misslungen. Und von dem Versuch die Beziehung zwischen dem Fahrdienstleiter und Ryder weiter zu entwickeln, merkt man gar nichts. Scotts Version verlangte Garber und Ryder auch nicht ab, in die Haut des anderen zu schlüpfen, um sich gegenseitig besser verstehen zu können. Ryder verlässt sich auf Ramos, einen grüblerischem, übel gelaunten ehemaligen Zugführer, den er im Knast kennen gelernt hat. Seine Kenntnisse des Tunnelsystems sind der vitale Punkt der Entführung und noch wichtiger für die anschließende Flucht.
Die U-Bahn ist der dritte Hauptdarsteller in diesem Film. Zwar besitzt New York nicht das längste U-Bahnsystem der Welt, dieser Titel gehört der Londoner Underground, doch NYC Transit besitzt die größte Flotte an U-Bahnwagen, nämlich über 6400 und wer schon einmal in New York war und mit der U-Bahn fuhr, der dürfte sich dieses Horrorszenario sicherlich selber gut vorstellen können.
Mit Kamerabewegungen, schnellen Schwenks, satten Farben und einem erlesenen Fokus in seinem einzigartigen visuellen Vokabular baut der Regisseur wie gewohnt schnell Spannung und Bedrohung in dem Thriller auf, mal abgesehen von den vielen Ungereimtheiten. Wer auf den Regiestil des Regisseurs steht, wird ihn auch schnell wieder erkennen und auch diesen Film mögen.
Fazit:
Spiegelte das Original aus den 1970ern noch das New York wieder und warf zynische Zwischentöne zu Rassismus und zur Schwulenbewegung in den Raum, so verzichtet das "Remake" auf alles und stellt die Stadt nur als schöne Kulisse dar. Visuell und handwerklich top kann Scotts Version dem Original von Joseph Sargent allerdings nicht das Wasser reichen. Selbst die namenhaften Schauspieler bleiben eher farblos und von dem Psychoduell von Matthaus vs. Shaw spürt man definitiv nichts mehr. Das Ende ist nicht gerade das gelungenste, funktioniert aber dennoch und da der Film erst hier zum ersten Mal massiv vom Original abweicht, muss sich Scott den Vergleichen schon stellen. Kennt man das Original mit der aggressiv jazzigen Musik von David Shire nicht, so kann der Film schon funktionieren und unterhalten.
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