Alice Brauner ist nicht einfach nur die Tochter des legendären deutschen Filmproduzenten Artur Brauner, sie studierte Neuere Geschichte, Politische Wissenschaften und Romanistik, war TV-Moderatorin, ist in der Geschäftsführung der CCC Filmkunst GmbH tätig und - natürlich, wie sollte es auch anders sein - auch als Produzentin für Film-, Fernseh- und Web-Formate bekannt. Bei dem Projekt MÜNTER UND KANDINSKY zeichnet sie sich auch für das Drehbuch verantwortlich.
MÜNTER UND KANDINSKY stützt sich vor allem auf Briefwechsel, Tagebucheinträgen und eigens verfasste Schriften zwischen dem Künstlerpaar Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Er porträtiert detailgetreu deren gemeinsame Zeit zwischen 1901 und 1916. Es ist eine Geschichte über eine dramatische Liebe zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zugleich ein Dokument über epochale Kunst. Gabriele Münter zählt heute nicht nur zu den bedeutendsten Vertretern der Klassischen Moderne, sie hatte auch großen Einfluss auf die Gründung der zu Weltruhm gelangten Künstlergemeinschaft „Der Blaue Reiter“. Gemeinsam mit Wassily Kandinsky kritisierte sie mit Mitstreitern der Bewegung den damals herrschenden Kunstkanon als zu akademisch und elitär. Sie standen für mehr Offenheit und Vielfalt in der Formensprache, wendeten sich vom Realismus ab und malten zunehmend expressiv und abstrakt.
Der Film stellt nicht nur die Liebesgeschichte der beiden in den Fokus, sondern erzählt, obwohl Münter der Gemeinschaft auch einen großen künstlerischen Input gab, dass ihr jahrelang die große Anerkennung der Kunstwelt verwehrt blieb, die ihr Lebensgefährte Wassily Kandinsky oder der Weggefährte Franz Marc in Anspruch nehmen konnten. Die Werke von Kandinsky hängen heute zum Beispiel im New Yorker Guggenheim Museum. Sein teuerstes Bild - das Ölgemälde "Murnau mit Kirche II" wechselte für 45 Millionen Dollar über das Aktionshaus Sotheby’s den Besitzer. Ein Bild von Münter ist dagegen schon für 250.000 Euro zu haben. Dass Künstlerinnen heute noch gemessen am Wert der Erlöse ihrer Werke weit hinter den ihrer männlichen Kollegen zurückstehen, ist bekannt. Erst nach und nach erfuhr Münter die Wertschätzung von Galeristen, Kuratoren, Museen und Kunstsammlern.
Als 1901 Münter von einem zweijährigen USA-Aufenthalt nach Deutschland zurückkehrt, schreibt sie sich gegen Geld in eine private Akademie ein, an der u. a. der russische Künstler Wassily Kandinsky unterrichtet. Es ist eine Zeit, in der weitgehend noch den Frauen der Zugang zu staatlichen Kunstschulen verwehrt worden war. Die beiden nähern sich schnell an. Aus der zierlichen und zurückhaltenden jungen Frau wird schnell die Lebensgefährtin von Kandinsky, der eigentlich zu diesem Zeitpunkt noch ein verheirateter Mann war. Sie ziehen bald nach Murnau in Oberbayern, wo Münter beeindruckende Bilder der Landschaft anfertigte. Orientierte sich Münter vorab am Stil des Impressionismus, wandelte sich ihre Ausdruckssprache von der impressionistischen Malerei unter den Einflüssen von Kandinsky und Jawlensky mehr zum expressionistischen Charakter. Sie legte eine charakteristische Vereinfachung an den Tag, mit einer individuellen Farbgebung, leuchtend und frisch. Kandinsky litt an einer neurologischen Störung, die die Vertauschung der Sinne auslöst: Er sah Klänge und hörte Farben. Dies brachte er auch auf seine Leinwände. Die Beziehung der beiden hielt bis zum Jahr 1914.
Man stand damals nicht nur am Anfang eines neuen Jahrhunderts, sondern auch vor den Geschehnissen des Ersten Weltkrieges. In den Wirrungen setzte sich Kandinsky nach Russland ab und Münter ins neutrale Ausland nach Stockholm, um für Kandinsky noch erreichbar zu sein. Die beiden sehen sich 1916 ein letztes Mal. Danach erhält sie keine Nachrichten mehr von ihm. Als Kandinsky 1921 nach Deutschland zurückkehrt und seine dreißig Jahre jünger Frau mitbringt, wird Münter nicht nur rasend, sondern auch rast- und ruhelos. Im Film kommt es zur besten schauspielerischen Szene, in der Vanessa Loibl als Gabriele Münter ihrer inneren Wut Ausdruck verleiht. Zu Lebzeiten konnte sie kaum von ihrer Kunst leben. Sie wurde zwar lange gefeiert, dann vergessen und schließlich wieder neuentdeckt. Unter ihrer großen Liebe Kandinsky litt sie, weil er zunächst seine Ehe verheimlichte und sich dann immer weiter zurückzog und schließlich erneut eine andere Frau heiratete. Münter war eine beeindruckende Frau, die im Film die höhere Aufmerksamkeit erhält, die sie im wahren Leben nicht genießen konnte.
Fazit:
Mit MÜNTER UND KANDINSKY ist Regisseur Marcus O. Rosenmüller ein Künstlerporträt gelungen, das versteht, die emotionalen und moralischen Herausforderungen gerade für Münter aufzuzeigen. Der Film fängt gekonnt ein, wie beide versuchen ihr inneres Erleben und Fühlen durch den malerischen Ausdruck wiederzugeben. Man lernt etwas über Kunst, einer Künstlerbewegung und schaut zwei sehr talentierten Schauspielern zu: Vanessa Loibl als Gabriele Münter und Vladimir Burlakov als Wassily Kandinsky. Ein Nischenfilm. Wer da noch sagt, dass deutsche Filme nicht sehbar sind...
Bilder und Trailer: © CAMINO Filmverleih GmbH
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