Nach einer Flut von Direct-to-DVD - Produktionen landet Nicolas Cage mal wieder auf der großen Leinwand. Und wie! Lest dazu meine Kritik zu MASSIVE TALENT. Ab dem 23.06.2022 in den Kinos.
Kritik:
Nicolas Cage. Sein Name ist Programm, seine Rollen multidimensional. Ob als alkoholkranker, beruflich wie privat gescheiterter Drehbuchautor in LEAVING LAS VEGAS, als guter Mensch und Polizist in 2 MILLIONEN DOLLAR TRINKGELD, als Ex-Sträfling in ARIZONA JUNIOR oder CON AIR, als alleinstehender, beruflich erfolgsverwöhnter Börsenmakler in FAMILY MAN, als neurotischer Drehbuchautor in ADAPTION - DER ORCHIDEEN-DIEB oder als Waffenhändler in LORD OF WAR … alle diese Rollen haben eine Gemeinsamkeit: Um sie spielen zu können, diese Bandbreite von Charakteren über Jahre hinweg abdecken zu können, bedarf es einem massiven Talent.
Nach Kassenerfolgen mit Actionfilmen wie THE ROCK - FELS DER ENTSCHEIDUNG, CON AIR oder FACE/OFF - IM KÖRPER DES FEINDES in den 1990er Jahren und Abenteuern wie DAS VERMÄCHTNIS DER TEMPELRITTER wurde es zum Ende der ersten Dekade des neuen Jahrtausends um Cage stiller. Die Frequenz seiner Produktionen nahm zugegebenermaßen zu, aber die Präsenz auf der Kinoleinwand ab. Cage musste den Verlust seines Vermögens in Höhe von 150 Millionen US-Dollar ertragen. Der Mann, dem das LaLaurie Haus in New Orleans gehörte, Besitzer des Schlosses Neidstein in Deutschland aus dem 16. Jahrhundert war, dem eine Burg aus dem 18. Jahrhundert in England gehörte, der Anwesen auf Rhode Island hatte, dem Leaf Cay auf den Bahamas gehörte, besaß mehr Hypotheken, als er bewältigen konnte und 2008 schließlich platzte über ihn wie vielen anderen die Immobilienblase. Cage, der den Lamborghini des Schahs von Iran fuhr, eine seltene zweiköpfige Schlange sein Eigen nannte, der einen 276.000 US Dollar schweren Dinosaurierschädel, bei dessen Kauf er Berichten zufolge Leonardo DiCaprio überboten hatte, wieder abgeben musste, als er erfuhr, dass er gestohlen worden war, der Mann, von dem sich die größeren Filmstudios distanzierten, war am Boden und sichtlich auf der Suche nach Ruhe und nach einer Erlösung von seinem Schuldenberg. Also produzierte er einen Film nach dem anderen und nahm einen lang Weg einer Odyssey von Filmen auf sich, um so viel Geld wie möglich zu erhalten, um seine Schulden bezahlen zu können. In der Zeit machte er über 40 Filme. Zum Vergleich: Brad Pitt in der gleichen Zeit knapp 20, Tom Cruise und Leonardo DiCaprio 10. Was er aber jederzeit unter all den ganzen Direct-to-DVD - Produktionen belegte, war, dass er mit Charakteren aus MANDY oder PIG, die alles verloren hatten, was sie liebten, uns weiterhin sein schauspielerisches Talent unter Beweis stellen konnte. Er erinnerte uns daran, was wir eigentlich schon immer wussten, er ist einer der größten Schauspieler, die Hollywood momentan hat.
Gabriella Paiella traf Cage zu einem großen GQ - Interview und fand Erklärungen wie Cage vom geldbringenden Superschauspieler ab dem Jahr 2010 die Kontrolle über seine Persönlichkeit verlieren konnte. Auftritte in der Öffentlichkeit, die größtenteils den jeweiligen Filmen dienen sollten, wurden aus dem Zusammenhang gerissen und es wurden Clips auf YouTube gestellt, in denen er ausflippte oder in denen er 40 Mal in einer Minute schrie. Nach Millionen von Aufrufen wurden seine schauspielerischen Fähigkeiten zur Farce extrahiert. Er wurde zu einer Person, von der die Öffentlichkeit erwartete, empörend zu sein.
Es ist gerade dieser Umstand, in dem die Vergangenheit und die Gegenwart sich nicht nur vermischen sondern auch aufeinanderprallen, der funktioniert und gleichzeitig auch Herzstück seines neuesten Films ist: MASSIVE TALENT. Dabei fängt der Originaltitel die Misslichkeit erst in Gänze ein und spricht von der unerträglichen Last eines großen Talentes. Nicolas Cage spielt eine fiktionalisierte Version von sich selbst mit dem Namen Nick Cage, einen glücklosen Actionstar, der nach seiner alten hohen Reputation strebt und den nächsten Kinohit anvisiert, doch in eine CIA-Verschwörung verwickelt wird, um einen internationalen Waffenhändler zur Strecke zu bringen.
Mit Hilfe von der De-Aging - Technologie konnte Cage nicht nur in eine jüngere Version der Filmfigur Nick schlüpfen, sondern auch Szenen integrieren, in denen er auf sich selbst trifft, in seiner Einbildung von seinem jüngeren Ich heimgesucht wird. Dieses Ich ist eine viel wildere, unheimlichere, aber doch viel zielstrebigere Version. Doch wieviel von Nicolas Cage in dem narzisstischen, neurotischen und distanzierten Vater Nick Cage steckt, kann man nicht wirklich sagen. Die Power, die Spiellust ganz sich.
MASSIVE TALENT ist kein direktes Biopic, die Ähnlichkeit zu Cages eigener Karriere doch erstaunlich. Was man im Film aber nicht sieht, im wahren Leben auch viel zu kurz kam - denn öffentliche Trunkenheit und seine Scheidung nach 12 Ehejahren standen meist in den Berichterstattungen im Vordergrund - er trauerte um seinen verstorbenen Vater und versuchte sich um seine alternde Mutter zu kümmern. In MASSIVE TALENT dafür sind Rückblicke und Würdigungen alter Filmprojekte zentral.
Die besten Tage der Filmfigur Nick Cage gehören der Vergangenheit an und genau wie der Schauspieler im wahren Leben hat er zahlreiche Filme hinter sich, die nicht alle funktionierten. Aber was Cage mit seiner Performance hier erklärt ist, dass es ein Missverständnis ist, wenn man glaubt, er hätte er all diese Filme gedreht ohne sich Gedanken zu machen. Das stimmt so nicht. Und als spiele er um sein Leben, als fügten sich die Scherben seiner Schauspielkunst wieder zusammen, ist es paradoxerweise genau die Rolle, in der er sich selber spielt, die es ihm ermöglichte, endlich frei von Schulden sein zu können.
MASSIVE TALENT besteht aus einer Kombination aus Einblicken aus Cages Privatleben, einer Erwartungshaltung der Presse und Öffentlichkeit und der Fantasie des Regisseurs Tom Gormican, wie Cages Leben vielleicht tatsächlich aussehen könnte. Nick Cage fühlt sich wie ein Ausgestoßener, frustriert und will unbedingt die eine Rolle haben. Als er diese nicht bekommt und es eh schlecht um seine Finanzen bestellt ist, nimmt er das Angebot an, für eine Million US-Dollar auf die Geburtstagsparty des exzentrischen Millionärs Javi zu gehen. Dieser entpuppt sich als Megafan. Beide verbindet gleiche Eigenschaften. Javi ist genauso neurotisch und Nicks Abenteuer auf der Leinwand steht für alles, was Javi sich nie traute auszuleben. Doch Javi hat Geheimnisse und als das Verhältnis der beiden enger wird, rekrutiert die CIA Nick Cage zu Spionagezwecken und das gemeinsame Abenteuer der beiden beginnt.
Nicolas Cage ist hier gewissenhaft, wie schon lange nicht mehr. Kümmert sich um seine Figur sensibel und dazu selbstbewusst. Er spielt in dem Film, als wäre es sein letzter. Aufgeblasen und dazu ironisch begegnet er einer zynischen Welt und damit schält er sich wieder aus der Banalität einer Medienlandschaft aus Möchtegernstars. Cage war schon lange nicht mehr so gut, man mag fast sagen, er war nie besser. Perfekt dazu passt der Gegenpart des Javi, gespielt von Pedro Pascal. Beide addieren sich nur zu gut.
Fazit:
Im Fokus steht die Liebe zum Geschichtenerzählen und letzten Endes auch die Freundschaft zwischen Männern. Urkomische Situationen verlieren durch die Vater-Tochter-Beziehung nicht an Dramatik. MASSIVE TALENT ist ein Schrein für die Cage-Gemeinde und lehrt, um wachsen und um vorankommen zu können, sollte man sich mit seiner alten Version und Persönlichkeit auseinandersetzen. Nicolas Cage ist nicht zurück, er war nie weg.
Bilder und Trailer: © LEONINE Distribution GmbH
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