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AutorenbildHaiko

HERETIC - Zwischen Glaube, Illusion und dunkler Wahrheit



Der Film eröffnet mit einem Gespräch zwischen Schwester Barnes und Schwester Paxton. Die Stadt wirkt auf den ersten Blick wie ein idyllisches Abbild der heilen Welt, doch unter der makellosen Oberfläche, inmitten des trostlosen Vorortpanoramas von Colorado, verbirgt sich eine subtile Leere - ein idealer Boden für die missionarische Arbeit der beiden Schwestern. Die Mormonenmissionarinnen gönnen sich eine kurze Auszeit vom ständigen Klinkenputzen und der oft monotonen, aber verpflichtenden Aufgabe der Bekehrung. Ein unerwarteter Moment der Reflexion bricht mit der üblichen religiösen Rhetorik, als die Missionarinnen nicht nur über ihren Glauben und den Weg zu Gott, sondern auch über persönliche Themen sprechen. Dabei wird überraschend das Thema Pornografie und übergroße Kondome angesprochen - ein Gespräch, das die Welt der Missionarinnen weit von den gewohnten Glaubensfragen entfernt. Trotz ihrer tiefen Verbundenheit durch den gemeinsamen Glauben könnten ihre Persönlichkeiten kaum unterschiedlicher sein. Schwester Paxton, die naivere der beiden, steht noch ganz am Anfang ihrer missionarischen Laufbahn. Sie kommt von einer sehr strengen Familie in Utah, eines von acht Geschwistern. Sie konnte bisher keinen einzigen Konvertiten zur Taufe überreden. Ihre Naivität und Unsicherheit sind in jeder ihrer Handlungen spürbar, doch auch eine gewisse Hoffnung auf Veränderung schwingt bei ihr mit.

Schwester Barnes hingegen ist ein Einzelkind, die das Leben auf andere Weise erfahren hat. Aufgewachsen in den rauen Straßen von Philadelphia, trägt sie die Narben ihrer Vergangenheit tief in sich. Der Verlust ihres Vaters, der sie immer noch quält, ist nur eine der vielen dunklen Erinnerungen, die sie nie ganz loslassen. Hinzu kommt ihre eigene Nahtoderfahrung, die sie auf eine Art geprägt hat, die sie nicht nur über den Glauben, sondern auch über die Abgründe des Lebens und Sterbens nachdenken lässt. Sie ist pragmatischer und härter als ihre Kollegin. Ihre innere Zerbrochenheit und die Suche nach einem tieferen Verständnis machen sie aus.


Mit dem festen Entschluss, die nächste Seele für ihren Glauben zu gewinnen, machen sich beide Schwestern auf den Weg - und wir folgen ihnen. Ihr Ziel führt sie schließlich zum trügerisch idyllischen Vorstadthaus von Mr. Reed, der auf dem ersten Blick harmlos, überschwänglich und bescheiden erscheint. Er öffnet den jungen Besuchern an einem regnerischen Nachmittag die Tür und bittet sie herein.


Mr. Reed umgibt ein leichter Duft von frischgebackenem Blaubeerkuchen. Er erklärt, seine Frau sei in der Küche beschäftigt, aber sei etwas schüchtern. Dieser anfängliche Eindruck eines gutmütigen, wenn auch zurückhaltenden Hausherrn wird jedoch zunehmend in Frage gestellt, je weiter sich die Handlung von HERETIC entfaltet. Was anfangs wie ein harmloses Gespräch wirkt, entpuppt sich schnell als ein Spiel aus Manipulation und psychologischer Kontrolle. Die Schwestern geraten immer tiefer in den Bann des wortgewandten Mr. Reed, dessen wahre Absichten sich zunehmend offenbaren. Er ist ein komplexer und neugieriger Charakter, der auf der Suche nach einer tieferen Wahrheit ist.


Die Simulationshypothese ist ein zentrales Thema und stellt die Frage, ob die Welt, die wir als „real“ empfinden, wirklich die „ursprüngliche“ Realität ist oder nur eine hochentwickelte Simulation. Der Film hinterfragt die Grenzen zwischen Illusion und Wahrheit und spielt mit Themen wie Ursprung und Authentizität. Plagiate von Popsongs und das Brettspiel "The Landlord's Game" - ein Vorläufer eines weltbekannten Spiels - verdeutlichen die Wiederholung und Reproduktion von Ideen, was die Thematik von Wahrheit und Täuschung weiter verstärkt. HERETIC durchzieht nicht nur eine Reihe subtiler Zitate und Anspielungen auf Dante Alighieris "Göttliche Komödie", sondern scheint in seiner Struktur auch ein Spiegelbild von dieser Reise durch die drei Reiche des Jenseits zu sein: Hölle, Fegefeuer und Paradies. Diese Erfahrungen durchleben nun auch unsere beiden Protagonistinnen.

Filmbild aus HERETIC

Als Hauptakteur überrascht Hugh Grant mit einer untypischen Rolle als charismatischer, etwas exzentrischer Charakter, der wie der englische Professor von nebenan wirkt, der Theologie zum Spaß betreibt und auf der Suche nach tiefen Wahrheiten ist. Sein gewohntes, charmantes Humorpotenzial, welches er über die Jahre in den Köpfen der Zuschauer säte, bleibt erhalten. Dies wird jedoch mit düsteren und komplexeren Nuancen angereichert. Während Grant mutig sein Image hinter sich lässt, fesselt er mit einer überzeugenden Leinwandpräsenz. Die Tatsache, dass beide Darstellerinnen der Schwestern, Sophie Thatcher und Chloe East, mit der mormonischen Kirche aufwuchsen, verleiht ihren Rollen eine besondere Authentizität. Scott Beck und Bryan Woods, die mit ihrem Original-Drehbuch zu A QUIET PLACE erstmals die Hollywoodbühne betraten, haben mit HERETIC erneut ihre Vielseitigkeit unter Beweis gestellt. Als Regisseure, Drehbuchautoren und Mitproduzenten liefern sie einen Film, der ihre Fähigkeit, Spannung und tiefgründige Themen zu vereinen, weiter hervorhebt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man wieder etwas von ihnen hören wird.

Fazit: HERETIC ist ein fesselnder Psychothriller, der Horror mit tiefgründiger Philosophie vereint. Hugh Grant überrascht in einer untypischen Rolle als charismatischer, aber zunehmend unheimlicher Nachbar. Der Film entfaltet eine komplexe Reflexion über Glaube, Moral und die Natur der Realität, während die Erlebnisse der Mormonenmissionarinnen gleichermaßen fesseln und verstören. Mit seiner düsteren Atmosphäre und eindrucksvolle Einstellungen bleibt HERETIC auch nach dem Abspann ein Film, der Fragen zu Gerechtigkeit, Moral, Liebe und der Gesellschaft aufwirft.


Filmposter von HERETIC

 


 

Bilder und Trailer: © Plaion Pictures GmbH

72 Ansichten1 Kommentar

1 Comment


Manfred Mustermantz
Manfred Mustermantz
vor einem Tag

Klingt spannend, werde ich mir ansehen. Was mir im Artikel fehlt ist der Hinweis ob Disc-Release oder Kino (und jeweils ab wann) gemeint ist. So muss ich immer selbst suchen ^^

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